Tina Turner und Cirque du Soleil: Zwei neue Musicals für Hamburg

Stage Entertainment dreht in Hamburg mal wieder kräftig am Musical-Rad. Deswegen werden wir im März und April 2019 gleich zwei neue Shows bekommen. Während das Unternehmen mit „Tina – Das Tina Turner Musical“ scheinbar Altbewährtes ins Operettenhausbringt, wird in die Neue Flora die Megashow „Paramour“ vom Cirque du Soleil einziehen. Diese Infos sind zwar schon ein alter Hut, aber ich habe halt etwas Zeit gebraucht, um mir mal (kritische) Gedanken dazu zu machen.

Kaum ist es da, muss es auch schon wieder gehen. Die Rede ist von „Ghost – Das Musical“, das ab Ende Oktober 2018 auf der Reeperbahn laufen wird. Als Lückenfüller für „Kinky Boots“, das ja leider, leider, leider viel zu früh gehen musste. Über „Ghost – Das Musical“ gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Es ist halt schon wieder die Bühnenadaption eines Films, lief in Berlin schon nicht so dolle und soll hier in Hamburg einfach nur elf Wochen lang dafür sorgen, dass das Operettenhaus nicht monatelang leer steht. Musical als Billigfüllprodukt im gefühlten Ramschwarenstil. Meine Fresse.

Aber immerhin kommt dann halt im März 2019 „Tina – Das Tina Turner Musical“ (wer denkt sich bei der Stage Entertainment eigentlich diese göttlich uninspirierten Showtitel auf Bildzeitungsniveau aus???) ins Operettenhaus. Und soll da auch bleiben. Mein erster Impuls, als ich vor ein paar Wochen die dazugehörige Pressemitteilung gelesen habe: Och nööööö, nicht schon wieder eine Bühnenverwurstung von Songs einer echt tollen Künstlerin. Ich meine, reichen denn Shows wie „Ich war noch niemals in New York“, „Mamma Mia!“, „Hinterm Horizont“ oder „We will rock you“ nicht? Muss jetzt auch noch Tina Turner dran glauben? Ja, so ungefähr waren meine Gedanken – dicht gefolgt von einer reflexartigen Ablehnung des Musicals. Kann ja nicht gut sein, oder?

Tina Turner, Musical
Mehr als nur Glitzer scheint es im Tina-Turner-Musical zu geben © Manuel Harlan/Stage Entertainment

Tina Turner und das Operettenhaus

Und dann habe ich angefangen, auf YouTube nach Showschnipseln zu suchen. Denn „Tina – Das Tina Turner Musical“ (je öfter ich diesen beknackten Titel tippe, desto blöder finde ich ihn!) läuft ja seit April 2018 im Londoner West End. Auch dort hat es die Stage Entertainment produziert. Und Tina Turner höchst selbst mit an Bord geholt. Es ist damit die einzige von der Künstlerin autorisierte Bühnenfassung ihres Lebens. Das wertet dann selbst den beknackten Titel ein wenig auf.

Also YouTube. Huch, endlich mal keine aufwendige Ausstattung, sondern ganz viel Wortkulisse! Boah, die Bearbeitung der Lieder fürs Ensemble etc. sind aber echt gelungen! Und dann erst diese hammerhart talentierte Hauptdarstellerin! Gut, ob wir hier in Hamburg auch so eine bildhübsche Stimmgranate mit genialem Bewegungsdrang als Tina Turner bewundern werden dürften, bleibt abzuwarten. Mein Fazit nach diversen Videoeindrücken ist allerdings, dass dieses Musical durchaus charmant sein kann. Eine kleine, unaufgeregte Produktion eben, die mächtig funkeln könnte. Wenn denn die Cast stimmt. Hier schon mal ein kleiner Eindruck:

Das Musical als Megashowereignis

Obwohl „Tina – Das Tina Turner Musical“ (grrrrrrr!) im März und damit einen satten Monat vor der anderen neuen Produktion Deutschlandpremiere feiern wird, ist hier in Hamburg aber eben jene zweite Show derzeit schon gefühlt allgegenwärtig. Noch nie habe ich derart häufig musicalbeklebte Busse auf den Straßen der Stadt gesehen: „Paramour“ hier, „Paramour“ da, „Paramour“ überall. Wobei ich es aber verstehen kann, denn der „Aladdin“-Nachfolger in der Neuen Flora dürfte exorbitant hohe Produktionskosten haben, die es unbedingt auch wieder einzuspielen gilt – unverschämt teure Ticketpreise inklusive, versteht sich. Am Broadway hat das schon fantastisch funktioniert. Dort lief die Show genau ein Jahr lang. Hier in Hamburg wahrscheinlich länger.

Ein Musical vom Cirque du Soleil also. Hört sich erst einmal verdammt spektakulär an. Auch für mich. Schließlich liebe ich die Artistik vom Cirque du Soleil. Und eine derart bombastische Show, in der nicht nur getanzt und gesungen wird, sondern in der zusätzlich Akrobaten und Zauberer auftreten und die dann auch noch im golden Zeitalter Hollywoods thematisch angesiedelt ist … ja, das gab’s noch nie. Also wenn man mal von der Cirque-du-Soleil-Show „Iris“ absieht, die auch in diesem Zeitalter spielt und auch eine Liebesgeschichte verwurstet (in „Paramour“ muss sich Sängerin Indigo zwischen Regisseur AJ und dem Pianisten Joey entscheiden – viel mehr Handlung scheint es nicht zu geben). Selbst Regisseur und Komponist sind identisch. Ach ja, und einige Akrobatikszenen aus „Iris“ wurden auch für „Paramour“ übernommen. Aber hey, ansonsten ist die Show echt voll einzigartig und total neu! *hust*

Paramour, Musical
Zugegeben: Auf die Artistik freue ich mich schon Cirque du Soleil/Stage Entertainment

Massenunterhaltung à la Cirque du Soleil

Den Inhalt von „Paramour“ habe ich ja schon angerissen. Mehr gibt es dazu dann auch nicht zu sagen. Bleibt also nur noch die Musik. Die habe ich mir neulich einfach mal komplett angehört. Und war danach ziemlich gefrustet. Das ist nämlich alles derart glatt und beliebig und klischeebehaftet, dass ich schlechte Laune bekommen habe. Klar, eine derart große Show muss zwingend den Massengeschmack treffen. Und dafür darf man nirgendwo anecken. Aber muss es denn gleich so derart watteweich und nichtssagend sein? Mag sein, dass die einfallslosen Nullachtfuffzehnmelodien etwas besser wirken, wenn das Auge noch ganz viel Buntes und Zauberhaftes dazu serviert bekommt. „Paramour“ hat ja auch nicht den Anspruch, Kunst sein zu wollen, aber die Show wird halt auch nicht dazu beitragen, den Ruf des Musicals an sich hier in Deutschland aufzubessern.

Während die kleinen Theater seit langer Zeit zu zeigen versuchen, dass Musical vielschichtig ist und manchmal sogar einen kulturellen Anspruch haben kann, haut „Paramour“ halt in die seichte Unterhaltungsschiene. Und das nicht zu knapp. Wer für teuer Geld eben diese Unterhaltung sucht, bei der man für drei Stunden mal das Hirn auf Leerlauf stellen kann, der wird von dem Musical wahrscheinlich begeistert sein. Ich versuche derweil, meine Vorurteile nicht allzu sehr zu kultivieren. Denn natürlich werde ich mir die Show auch anschauen. Schon alleine, um mitreden zu können. Und wer weiß? Vielleicht tue ich ja „Paramour“ jetzt gerade auch richtig Unrecht. Vielleicht steckt ja doch mehr dahinter als bis dato vermutet. Nur, weil ich auf meiner Suche nach Substanz fernab der Massenunterhaltung nichts gefunden habe, heißt das ja noch lange nicht, dass es da nix gibt. Kann man ja nie wissen. Ihr bekommt hier erst einmal einen ersten Eindruck, bevor wir uns ab April 2019 dann eine finale Meinung bilden können:

Bildnachweis Titelfoto: © Manuel Harlan/Stage Entertainment

6 Kommentare Gib deinen ab

  1. Xeniana sagt:

    Ja spannend. Ich finde deine Musical Rezensionen sehr differenziert und spannend. Kinky Boots hätte ich sehr gern gesehen hab aber gehört es soll toll gewesen sein. Tina würde ich mir auf jeden Fall auch ansehen wollen, bisher habe ich es ja ausser König der Löwen und Mary Poppins auf noch kein anderes Musical gebracht.

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    1. Elbgängerin sagt:

      Dankeschön, Xeniana! 😊 Kinky Boots war wirklich grandios. Das Tina-Musical dürfte aber ein würdiger Nachfolger sein. Bin schon sehr gespannt. Ansonsten kann ich dir die Heiße Ecke im Schmidts Tivoli ans Herz legen. Ein herrliches Kiezmusical. Und im Vergleich zu den Stage-Produktion auch noch sehr günstig. Für deren Musicals muss man ja schon ein wenig sparen.

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  2. Philipp Elph sagt:

    Die Frage nach der Substanz ist gerechtfertig, aber manchmal tut auch ganz seichte Unterhaltung gut. Ich habe etliche Musicals – auch in Hamburg – erlebt. Einige sind aus dem Gedächtnis verschwunden, „Buddy“ Holly ist mir noch in guter Erinnerung, obwohl es lediiglich eine Aneinanderreihung der Hits war, jedoch nett gemacht. Dagegen war Lloyd Webbers „Aspects of Love“ im Prince of Wales Theatre in London so banal operettenhaft, dass ich Gedanken daran verdränge.

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    1. Elbgängerin sagt:

      Wobei ich trotzdem ein wenig neidisch bin, dass du Aspects of Love auf der Bühne gesehen hast. Ich kenne nur das Album. 😉 Und natürlich: Musical ist und bleibt in erster Linie Unterhaltung. Musicals können aber auch mehr sein. Das wird sich in Deutschland allerdings nie etablieren, solange der Big Player fast ausschließlich auf das Seichte setzt. Und das finde ich eben schade.

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  3. theatergeist sagt:

    Hach, herrlich zu lesen, wenn sich Menschen ab und an mit Musicals befassen und dann nicht das allgegenwärtige Fan-Gesäusel und Lobgehudel, sondern echte Meinungen zu lesen sind.

    Ich habe zwar weder Kinky Boots noch Aladin in Hamburg gesehen, dafür aber beide Produktionen in London. Um Kinky Boots ist es wirklich sehr schade. Da hatte die Stage endlich mal den Mut, ein wirklich neues Musical nach Deutschland zu holen und versaut es dann kurz nach dem Start mit unzureichender Werbung und wie immer überteuerten Preisen. Sorry, aber da ist es wirklich lächerlich, es anschließend mit Tina versuchen zu wollen. Ein generelles Umdenken und Einlenken von Seiten der Stage wäre tatsächlich mal eine dauerhaft bessere Lösung.

    Ich bin natürlich aber trotzdem gespannt, wie es sich bei den beiden Hamburger Neuzugängen so entwickeln wird.

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    1. Dankeschön. 🙂 Um ehrlich zu sein, kann ich mit dem allgemeinen Fangehabe nicht so viel anfangen. Ich liebe Musicals sehr – aber das schließt ja den Kopf nicht aus. 😉

      Um ehrlich zu sein, befürchte ich, dass „Kinky Boots“ aus dem deutschen Musicalgedächtnis fast schon verschwunden ist. Ich rede hier nicht von den Hardcore-Musicalgängern, sondern vom Durchschnitt. Eben jenen Durchschnitt, denn Stage nicht erreichen konnte. Gute, wertvolle Musicals funktionieren hierzulande halt nur bedingt. Das haben sich Großproduzenten wie die Stage aber auch selbst zuzuschreiben. Wer fast ausschließlich auf seichte Unterhaltung setzt, muss sich nicht wundern, dass was anderes dann nicht zieht. Hat auch ein wenig was mit Publikumserziehung zu tun. Allerdings nicht nur. Die richtigen Perlen werden wir hier nie zu sehen bekommen. Dafür hat Deutschland halt einen ganz anderen Theaterbackground. Musical war hier schon immer nur leichte Kunst und stand per se im Schatten von Regietheater und Oper. Ausnahmen bestätigen natürlich immer die Regel.
      Nach „Ghost“ als Lückenfüller hier in HH, bin ich jedenfalls auf „Tina“ gespannt. Das großkommerzielle Musical in der Neuen Flora werde ich mir erst einmal verkneifen. Denn, und da stimme ich dir zu, die Preise kannste als leidenschaftlicher Theatergänger, der auch noch andere Aspekte im Leben genießen will, echt nicht mehr bezahlen.

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